Yona Friedmann – der Realist der träumt

Yona Friedman wurde im Jahre 1923 in Budapest geboren, arbeitete und lebte in Paris. Er war Architekt, Architekturtheoretiker, Künstler, einer der interessantesten Stadtplaner und Utopisten unserer Zeit. Hauptsächlich befasste er sich mit dem Thema der Infrastruktur, welche er in Collagen, Büchern aber auch Animationsfilmen veranschaulichte und dadurch großes ansehen in der Kunst -und Architekturszene erlangte. 

Schon kurz nach dem zweiten Weltkrieg begann er mobile Strukturen aus vorfabrizierten Elementen für die wohnungslose Nachkriegsbevölkerung zu entwerfen. Nach dem kennenlernen von Konrad Wachsmann entwickelte er basierend auf dessen Raumtragwerken, im Jahre 1958 das Manifest L’Architecture Mobile und später das, was er als La Ville Spatiale bezeichnete. Ziel war es nicht mobile Architektur zu entwerfen, vielmehr sollte anpassungsfähige Strukturen für ein mobiles Leben geschaffen werden.

Er war überzeugt davon, dass eine sich ständig in Umordnung und Entwicklung befindende Gesellschaft den Rahmen in dem sie lebt, ebenfalls immer wieder ändern und den Gegebenheiten angleichen können muss. 

Nur der Wechsel ist beständig

Yona Friedman

Die heutige Idee von Architektur als einer Hülle, einem Behältnis, so Friedmann, passe nicht mehr zur heutigen Realität. Er sehe Architektur vielmehr als ein komplettes und komplexes Paket an, das natürlich Hülle ist, aber vor allem der Inhalt. Denn niemand nutzt Architektur als das rein Gebaute, wir alle verwenden das der Architektur innewohnende Angebot, Raum zu nutzen. 

Friedmann selbst sah sich nicht als Utopist, vielmehr vertrat er eine klare Haltung, welche neue Technologien als eine Chance der Städtischen Entwicklung einordnete und diese stets als vermittelnde Sprache zu interpretierte.


Grundidee war der Blick auf Mobilität, jedoch nicht im sinne des Gebäudes, vielmehr die der BenutzerInnen. Die Infrastruktur gibt also nicht per se vor wie sich die BewohnerInnen zu verhalten abheben, sie ist wandelbar. 

Durch überhöhte Strukturen werden neue Ebenen über der bestehenden Stadt geschaffen, so wird bei gleichbleibenden Fußabdruck die Originalfläche multipliziert, es entsteht eine Art Verschmelzung zwischen Stadt und Land. 

Paris wurde unter dem Namen «Paris Spital» am weitesten ausgearbeitet, durch den neu gewonnenen Wohnraum wurde bei identischem Fußabdruck platz für 10 Millionen Pariser generiert. Prinzipiell handelt es sich um die Schaffung einer Rahmenstruktur, eines Raumgitternetzes, das aus einer Vielzahl von Trägern gebildet wird, die bei einer Seitenlänge und Höhe von etwa 2,60m-zu je vier in Kreuzform jeweils so miteinander verschweißt werden, dass vier solche «Pakete» einen kubischen, vorerst leeren Raum von 5,20 m Seitenlänge und 2,60 m Höhe umschließen und gleichzeitig die «Ecken» für insgesamt acht an diesen Raum angrenzende (leere) Räume bilden. Diese Räume können leer bleiben (Licht und Luft für die Raumstadt wie für die darunter befindlichen Altbauten), oder sie werden mittels genormter Wand-, Decken- und Bodenplatten nach der Vorstellung, den Notwendigkeiten und dem Willen des jeweiligen «Bewohnenden» zu Wohn- (oder Büro- usw.) Einheiten zusammengestellt, ohne das noch eine ArchitektInn in die Gestaltung eingreift. Durch die Möglichkeit der Individuellen Erweiterung sowie dem Rückbau bleibt die Stadt «Mobil». 

Diese neue Räumlichen Tragwerke, getragen von genormten Stahlträgern, führt zu einer neuen Entwicklung der Stadtplanung: Die dreidimensionale Stadt, die Raumstadt.

Die Methodik der Raumstadt wendete Friedmann auf etliche Städte rund um den Globus an, ausgeführt wurde keine seiner „realen Utopien“. Jedoch ist in den folgenden Projekten zu sehen wie nachhaltig sein Werk und der Glaube an Architektur, welche von selbst entsteht, ArchitektInnen und PlanerInnen rund um den Globus beeinflusst haben. 


Stark inspiriert von Friedmanns Leitidee des über dem Bestand schwebenden räumlichen Tragwerks, welches in sich Überlagernde multifunktionale Raumstrukturen ermöglicht, begann Richard J. Dietrich und dessen Team in den frühen 70er Jahren an einer realisierbaren Utopie der «Überstadt» zu arbeiten. 

Ziel der Planungen war es, Fehler des Nachkriegsstädtebaues wie z.B. die flächige Verteilung der Funktionen nach der „Charta von Athen“ zu beheben und eine räumliche Überlagerung der Anforderungen zu ermögliche. Wie auch bei Friedmann sollten variable, anpassungsfähige Strukturen entstehen, welche Selbstgestaltung der Bewohnenden ermöglichen. 

Die Metastadt-Strukturen erheben sich in der ersten Phase über die Bestandsgebäude, in welche die BewohnerInnen nach Fertigstellung umziehen sollten. Entgegen der Vorstellung Friedmann’s den Bestand zu erhalten entschieden sich Dietrich und dessen Team in der zweiten Phase dazu, die baufälligen Bestandsgebäude durch ein neues Stadtsystem mit hoher Verdichtung zu ersetzten. Um diese ambitionierten Pläne umzusetzen, musste eine neue Bauweise entwickelt werden, ein Bausystem in industrieller Serienproduktion, welches durch ein digitales Planungssystem gesteuert werden kann, dass die dynamisch wachsenden Strukturen automatisiert reguliert. Damit frei Nutzbare Räume entstehen konnten mussten die diagonalen Verstrebungen Friedman’s weichen. 

gegen die Wucherung in Megacitys,

gegen Nadelkissen aus Hochhäusern

Richard J. Dietrich

Bis zur Baureife wurden in Deutschland mehrere Projekte geplant, diese fielen jedoch der allgemeinen Baukrise 1974/75 zum Opfer. Die umgesetzte, abgewandelte Version, zeigte im gebauten Zustand bis auf das seriell vorgefertigte Tragwerk keine parallelen mehr mit der einstigen Utopie auf. Weder erhob sich der neue Bau über bestehende Gebäude und Straßen, noch gab es die Möglichkeit der individuellen Gestaltung in den gebotenen Strukturen. Zudem war der Stand der damaligen Abdichtungstechnik nicht weit genug entwickelt um die Gebäudehülle dicht zu verschließen, schon nach kürzester Zeit drang Wasser ein. Durch bewusste Entmietung folgte der Abriss 13 Jahre nach Fertigstellung.


Alejandro Aravena und dessen Büro Elemental wurden 2003 von der Chilenischen Regierung beauftraget für 100 Familien, welche seit 30 Jahren illegal auf einem innerstädtischen stück Land eine informelle Siedlung errichtet hatten, Wohnungen zu schaffen. 

Durch das geringe Budget wäre anhand herkömmlicher Planung auf dem aktuellen Grundstück zu kleine Wohneinheiten entstanden oder eine Siedlung ohne jeglichen Bezug zur Stadt an dessen abgeschotteten Vororten. 

Ganz nach Friedmann’s Leitbild der zu errichtenden Infrastruktur und des wachsenden Hauses, war für Elemental das bestehende, baulich wie sozial, essenziell und sollten erhalten bleiben. Die Parallelen zeigen sich in diesem Projekt weniger durch den Städtebau in Form einer sich abhebenden Megastruktur, jedoch werden sie deutlich spürbar hinsichtlich der infrastrukturellen Anforderungen, welche den essenziellen Charakter der Gebäude darstellen. 

Partizipation ist die Zukunft der Architektur

Alejandro Aravena

Gegeben werden die Räume, welche Planung und technische Expertise benötigen (Küche, Bad, Treppen und tragende Wände/Stützen), somit entstehen „halbe“ Häuser. Diese können durch die BewohnerInnen individuell und ohne die Expertise einer Fachkraft, nach deren Bedürfnissen erweitert werden. Die Tragstruktur bietet eine stützende Funktion, jedoch keine abgrenzende/permanent geschlossene, es entwickeln sich benutzerdefinierte Erweiterungen. Diese entsprechen nicht nur den jeweiligen Anforderungen, sie wirken auch der monotonen seriellen Architektur entgegen, hinzu kommt eine enge Bindung zwischen Bewohnenden und dem Objekt, somit ist auch im sozialen Wohnungsbau eine langfristige Wertsteigerung möglich.


Yona Friedman als Architekt der klassischen Moderne zu bezeichnen wäre falsch. Als angehöriger der Generation, die während des Zweiten Weltkriegs Aufstieg und Fall der architektonischen Moderne miterlebte, sprach sich Friedman explizit für einfache Technologien, für ein von BewohnerInnen und nicht von ArchitektInnen geleitetes Bauen, für die Bedeutung von Mobilität und Variabilität sowie für Nachhaltigkeit und gegen Überbauung aus.  Seine Biografie/Werk kann als ein Beispiel für die historische Transformation vom modernistischen Paternalismus zur technopolitischen Utopie gesehen werden. 

Architektur ist nicht einfach die Kunst des Bauens, sie ist vielmehr die des Raummanagements

Yona Friedman

Im folgenden werde ich das Werk Friedmann’s der Moderne und deren Merkmalen gegenüberstellen, Parallelen wie Gegensätze ziehen und diese kritisch hinterfragen. 

Seiner Meinung nach hatte die Pädagogik der Architektur der Modernen selbst dazu geführt, dass die ArchitektInnen die Bedeutung des Nutzenden verleugneten, den sie durch die nicht existierende Entität des „Durchschnittsmenschen“ ersetzten; ein Wesen, dessen erfundene Bedürfnisse immer mehr mit den Bedürfnissen des realen Nutzers kollidierten. In seinem Manifest plädierte Friedman für eine Architektur, in der „der Lebensraum vom Nutzer im Rahmen einer Infrastruktur bestimmt wird, die weder determiniert noch determinierend ist“ und in der die Gebäude „den Boden so wenig wie möglich berühren sollten und demontiert und verschoben werden können, je nach Wunsch der Bewohnenden verändert werden können“.

Bauen ist kein Objekt, es ist ein Prozess

Yona Friedman

Seine antipaternalistische Architektur stellt sich gegen die „Top-Down Planung“ der Moderne, in ihr sieht Friedman Pseudo-Theorien, Beobachtungen, welche nur die Vorlieben ihrer BetrachterInnen widerspiegeln. Die Vision war es, Architekturen zu inszenieren, die über die reine und unmenschliche Technik des modernistischen Funktionalismus hinausgehe und für unvorhersehbare, sich ständig verändernde persönliche Bedürfnisse empfänglich ist.

Großstrukturen sind ein markantes architektonisches Erbe der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, in Absetzung von der Moderne und ihren Bestrebungen zu Industrialisierung und Normierung lehnt Friedman eine auf Maßsystemen basierte Architekturauffassung ab. Er unterstreicht, dass die Mathematik zwar Ergebnisse produzieren kann. Die Ereignisse aber entfalten sich in ihrer eigenen Logik und können mit keinem mathematischen Schema erfasst werden. Architektur soll für Friedman etwas anderes sein als „angewandte Geometrie“. Durch feste Fundamente fixiert kann sie schnell zum Hindernis werden: „Die reale Stadt ist nicht fixiert. Schau Dir die Leute auf der Straße an. Es ist unmöglich, zu sagen, wohin der einzelne gehen will. Es gibt keine Regel.“ Daraus leitet er ab, dass die Architektur keine Verbote aufstellen, sondern dem Menschen Beteiligung ermöglichen solle. Trotz räumlichen Nachverdichtung soll das Bausystem ein Neben -und Miteinander von Individualismus und Gleichheit erzeugen. Die Grundordnung wird vorgegeben, statt einer verbindlichen „kollektiven Form“ proklamierten sie die Hinwendung zu einer additiven, sich aus einzelnen Modulen rekrutierenden Städteplanung. 

In den 70er Jahren forschte er am MIT an einem Computer, der in der Lage war, die Spatial City demokratisch zu organisieren. Das Programm fragte Individuen nach ihren speziellen Vorlieben und analysierte und verarbeitete diese Daten dann nicht nur nach den Wünschen der Nachbarn, sondern auch nach Licht, Zugang zur Lüftung usw. Er gab dieses Projekt schließlich auf, weil er der Meinung war, dass sein Computer die Wendungen und die Komplexität des menschlichen nicht berechnen konnte. 

Nicht nur das räumliche Tragwerk wirkt repetitiv, auch die von ihm vorgeschlagenen seriell hergestellt und normierten Wohnmodule implizieren nicht das Gefühl von Individualität welches in seinen Collagen suggeriert wird. Das nebeneinander Leben der BewohnerInnen wird gebrochen durch die hirachisierung der vertikalen Schichtung. 

Trotz der Konflikte bei genauerer Betrachtung ist Friedman’s Werk keinesfalls klassisch Modern, seine Ideen und Entwicklungen für das 20. Jahrhundert beeinflussten UtopisteInnen, KünsterInnen und DenkerInnen wie Archigramm, Constant Nieuwenhuys und die japanischen Metabolisten, sie alle vertraten zeitgenössisch ähnliche Ideen zum Nomadischen und zu temporären Einrichtung.


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